Das Kulturstandard-Konzept von Alexander Thomas

Kulturstandards

Ein Kulturstandard ist die Art, wie eine Person wahrnimmt, denkt, wertet und handelt, die von den Mitgliedern ihrer Kultur als angemessen angesehen wird.

Stellen Sie sich vor, Sie führen ein Gespräch mit Ihrem/r Kollegen:in. Welche Entfernung halten Sie ein? (das Konzept der Proxemik von E.Hall) Sie sollten zwischen 45 cm und 120 cm– diese Distanz gilt als der normale Abstand in Gesprächen mit Freunden und Kollegen z.B. in Deutschland. In anderen Kulturkreisen variiert aber diese Distanz, wie beispielsweise in Japan – Dort würden Sie jemandem mit diesem Abstand unangenehm „auf die Pelle rücken“. In Südamerika sind die Distanzzonen geringer ausgeprägt als in Mitteleuropa. In einem brasilianischen Reitclub sollen derartige Missverständnisse zwischen Mitteleuropäern und Nordamerikanern schmerzhafte Folgen gehabt haben:  das Geländer einer Veranda musste erhöht werden, weil immer wieder Nordamerikaner und Nordeuropäer rückwärts hinuntergestürzt wären. Ihre südamerikanischen Pferdefreunde hätten den üblichen „nordischen“ Gesprächsabstand nicht eingehalten, und die Gäste wären Schritt um Schritt zurückgewichen und die Südländer doch noch nachrückten.

Ähnliches gilt in allen Bereichen verbaler und nonverbaler Kommunikation. Offensichtlich werden Kulturstandards immer dann, wenn Individuen aus verschiedenen Kulturkreisen mit verschiedenen Kulturstandards aufeinandertreffen.

Was nun, in die Augen blicken oder wegschauen? Antippen, um jemanden auf etwas aufmerksam zu machen? So kann man ins interkulturelle Fettnäpfchen treten!

Wie können Kulturstandards verstanden werden?

„Unter Kulturstandards werden alle Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns verstanden, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich persönlich und andere als normal, selbstverständlich, typisch und verbindlich angesehen werden“ (A. Thomas, „Analyse der Handlungswirksamkeit von Kulturstandards“, 107-135, z.St. 112 In: A. Thomas (Hrsg): Psychologie interkulturellen Handelns. Hogrefe, Göttingen 1996.).

Kulturstandards sind historisch gewachsen. Dabei handelt es sich um situations- und kulturspezifischen Lebensstil. Durch Kulturstandards werden „Richtlinien“ festgelegt, die dann eine Reaktion in konkreten Situationen als angebracht bzw. unangebracht anerkennen. Mittels Kulturstandards lässt sich eine Kultur beschreiben und Verhaltensweisen der Angehörigen der jeweiligen Kultur verstehen. Anhand unserer Kulturstandards beurteilen wir das Eigene und das Fremde, dabei umfassen sie immer einen bestimmten Toleranzbereich.

Welches sind die zentralen deutschen Kulturstandards?

In offenen Interviews schildern Probanden unmittelbar nach einem Auslandsaufenthalt kritische Interaktionen mit der Gastkultur, die bei ihnen Verwirrung, Ärger oder Konflikte ausgelöst haben. Gleichzeitig berücksichtigt werden als angenehm, überraschend, harmonisch etc. empfundene Eindrücke, die sie schildern. Zusätzlich wurden die Probanden gebeten, Erklärungen für das Verhalten der fremdkulturellen Person zu geben.

Die jeweiligen Schilderungen wurden anschließend auch Personen vorgelegt, die längere Erfahrungen mit der Gastkultur besitzen sowie Angehörigen der Gastkultur selbst.

Schließlich werden sämtliche Schilderungen und Erklärungen inhaltlich analysiert und die daraus gewonnen Kulturstandards in einen größeren kulturhistorischen Zusammenhang gestellt und interpretiert (Thomas 1996:119ff.)

Auf diese Weise identifizierte Alexander Thomas folgende sieben deutsche Kulturstandards2 (Thomas 2006:26)

Sachorientierung: Sachverhalte sind wichtiger als Personen

Regelorientierung: Wertschätzung von Regeln, Suche nach Regeln

Direkte Kommunikation: Direktheit, direkter Weg wird als der zielführend angesehen.

Interpersonale Distanzdifferenzierung: Abstand und Zurückhaltung gegenüber den Angelegenheit anderer Menschen wird erwartet.

Internalisierte Kontrolle: Aufgaben und Verantwortung werden ernst genommen.

Zeitplanung: Zeit ist kostbar, musseingeplant werden, „carpe diem“.

Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen: Trennung von Privat- und Berufsleben; betrifft vor allem auch Kontakte: Kollege oder Freund?

Wenn unterschiedliche Kulturen zusammenleben, ist das Miteinander nicht immer einfach – aber ohne Miteinander kein Erfolg. Nutzen wir die positiven Energien der Vielfalt in unserer Gesellschaft, sodass alle profitieren. Wer interkulturelle Kompetenz entwickeln will, muss offen sein, die eigene und fremde Kultur zu reflektieren.

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was sind

Kulturstandards

Ein wesentliches Ziel der interkulturellen Forschung liegt darin, Faktoren zu ermitteln, die die soziale Interaktion zwischen Angehörigen verschiedener Ausgangskulturen behindern oder erleichtern.

Sehr bekannt ist das als Grundlage für interkulturelle Trainings eingesetzte Konzept der Kulturstandards.